Leitfaden

Zahnbehandlung in der Schwangerschaft: Leitfaden für die sichere Behandlung

Zahnbehandlung in der Schwangerschaft kann herausfordernd sein – doch mit dem richtigen Wissen lassen sich Patientinnen sicher und selbstbewusst versorgen. Von optimalen Behandlungszeitpunkten über Röntgendiagnostik bis hin zur medikamentösen Therapie: In unserem Leitfaden erfahren Sie, worauf es wirklich ankommt.

6.3.2025
Dr. Tilmann Seifert
Lesezeit
output:  Moderner Krankenhausflur mit Empfang und Pflanzen.

FAQ - Häufige Fragen aus der Praxis

Darf ich eine Schwangere in jedem Trimester behandeln?

Grundsätzlich ja. Das zweite Trimenon (14.-27. SSW) gilt allerdings als optimal für elektive Eingriffe: Die kritische Phase der Organentwicklung ist bereits abgeschlossen, das Risiko einer Fehlgeburt deutlich gesunken und der Fetus reagiert weniger empfindlich auf Medikamente als im ersten Trimenon. Zudem sind die mechanischen Einschränkungen des dritten Trimenons noch nicht vorhanden. Notfallbehandlungen sind jedoch in jedem Trimester möglich und notwendig.

Wie lange darf eine Behandlung maximal dauern?

Es gibt keine strikte Zeitbegrenzung. Achten Sie aber darauf, dass die Patientin nicht zu lange in Rückenlage ist. Planen Sie alle 20-25 Minuten eine kurze Pause ein, in der sich die Patientin aufsetzen kann. Bei Anzeichen von Unwohlsein (Schwitzen, Blässe) brechen Sie die Behandlung sofort ab.

Was tun bei akuten Schmerzen im ersten Trimester?

Akute Schmerzen müssen auch im ersten Trimester behandelt werden. Eine unbehandelte Infektion oder anhaltende Schmerzen sind für Mutter und Kind belastender als eine gut geplante Behandlung. Setzen Sie auf die als sicher eingestuften Medikamente und dokumentieren Sie Ihre Entscheidungen sorgfältig.

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Die besondere Behandlungssituation

Kennen Sie das? Eine schwangere Patientin sitzt auf Ihrem Behandlungsstuhl und hat Schmerzen. Noch bevor Sie die Ursache lokalisiert haben, überschlagen sich die Fragen in Ihrem Kopf: Welches Antibiotikum ist sicher? Lokalanästhesie mit oder ohne Adrenalinzusatz? Und wie war das nochmal mit dem Röntgen?

Viele Behandler:innen erwischen sich in solchen Momenten dabei, abzuwägen, ob sie die Patientin nicht lieber an ein Klinikum überweisen sollten. Doch mit dem richtigen Wissen können Sie schwangere Patientinnen sicher und selbstbewusst behandeln.

Optimale Behandlungszeitpunkte und Lagerung

Das zweite Trimenon (14.–27. Schwangerschaftswoche) gilt als idealer Zeitraum für zahnärztliche Eingriffe. Zu diesem Zeitpunkt ist die frühe Organentwicklung bereits abgeschlossen, und die mechanischen Einschränkungen des späten dritten Trimenons bestehen noch nicht.

Besonders wichtig bei der Behandlung schwangerer Patientinnen ist die korrekte Lagerung:

  • Vermeiden Sie längere Behandlungen in Rückenlage
  • Bevorzugen Sie eine leichte Linksseitenlage
  • Ab dem späten 2. Trimester können Sie Kissen unter die rechte Hüfte legen, um den Druck auf die Vena cava zu reduzieren
  • Lassen Sie die Patientin bei Unwohlsein sofort aufrecht sitzen

Warum die Linksseitenlage? In Rückenlage kann der schwangere Uterus auf die Vena cava inferior drücken und so das Vena-cava-Kompressionssyndrom auslösen. Dies kann zu Kreislaufproblemen und Unwohlsein führen.

Bildgebende Diagnostik während der Schwangerschaft

“Darf ich während der Schwangerschaft überhaupt röntgen?” Diese Frage beschäftigt viele Behandler:innen. Die DGZMK bleibt in ihrer Stellungnahme von 1992 bemerkenswert vage: “Bei bestehender Schwangerschaft sind alle Möglichkeiten einer Herabsetzung der Strahlenexposition der Leibesfrucht auszuschöpfen. Unnötige Aufnahmen sind zu vermeiden” (Sitzmann, 1992).

Eine solche Aussage schafft mehr Verunsicherung als Klarheit. Dabei hilft ein Blick auf die tatsächlichen Strahlenwerte, die Situation richtig einzuordnen:

Hier die wichtigsten Vergleichswerte: 

  • Zahnfilm: ca. 5–10 µSv 
  • OPG: ca. 20–30 µSv 
  • DVT: ca. 40–200 µSv 
  • Langstreckenflug: ca. 30–60 µSv 
  • Natürliche Hintergrundstrahlung/Jahr: ca. 2000–3000 µSv

Ein einzelner Zahnfilm entspricht also nur etwa 1/400 der natürlichen jährlichen Strahlenbelastung! Diese Einordnung hilft nicht nur Ihnen als Behandler:in, sondern ist auch ein wichtiges Aufklärungsinstrument für Ihre Patientinnen.

Schwangere gehören zum Praxisalltag, und mit dieser klaren Faktenlage können Sie ihnen die Angst vor notwendiger Röntgendiagnostik nehmen. Natürlich gilt weiterhin der Grundsatz, nur medizinisch notwendige Aufnahmen anzufertigen - das gilt aber für alle Patient:innen, nicht nur für Schwangere.

Praktische Tipps für die Röntgendiagnostik: 

  • Bevorzugen Sie Einzelzahnfilme statt Panoramaaufnahmen 
  • Verwenden Sie einen Röntgenschutz 
  • Dokumentieren Sie die medizinische Notwendigkeit 
  • Klären Sie die Patientin über die minimale Strahlenbelastung auf

Medikamentöse Therapie: Das müssen Sie beachten

Die medikamentöse Behandlung von Schwangeren erscheint zunächst komplex. Konzentrieren wir uns auf die wichtigsten und sichersten Medikamente für die zahnärztliche Behandlung:

1. Analgetika

🟢 Paracetamol (Acetaminophen)
(In niedrigster wirksamer Dosis und kurzzeitig angewendet)

2. Antibiotika

🟢 Amoxicillin (mit oder ohne Clavulansäure)

3. Lokalanästhetika

🟢 Articain (mit Adrenalin max. 1:200.000)

Wie embryotox.de zu Recht anmerkt: “Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es zu keinem Medikament.” Diese Aussage sollte uns aber nicht lähmen - sie gilt schließlich für alle Patient:innen, nicht nur für Schwangere. Mit den oben genannten Medikamenten sind Sie auf der sicheren Seite.

Gut zu wissen:

  • Ibuprofen: nur bis zur 28. SSW
  • Doxycyclin: Kontraindiziert insbesondere in T2-3 wegen Risiken für Zahnverfärbungen und Wachstumsstörungen beim Fötus

Häufig verwendete topische Präparate:

Antiseptika und Fluoride
🟢 Chlorhexidin: Sicher während der gesamten Schwangerschaft, da kaum systemische Resorption

🟡 Duraphat (Natriumfluorid): Topische Fluoridapplikation gilt als unbedenklich, minimale systemische Aufnahme. Vorsicht: Enthält Alkohol

🟡 Elmex Gelee (Aminfluorid, Natriumfluorid): Topische Anwendung unbedenklich, aber wie bei Duraphat unklare Studienlage

Kortikoidhaltige Präparate
🟡 Dontisolon (Prednisolon): Lokale Anwendung gilt als unbedenklich. Systemische Resorption gering, aber nicht völlig auszuschließen

🟡 Volon A (Triamcinolonacetonid): Bei topischer Anwendung geringe Resorption. Sparsam einsetzen

🔴 Ledermix (Demeclocyclin + Triamcinolonacetonid): Kontraindiziert während der gesamten Schwangerschaft wegen des enthaltenen Tetracyclin-Antibiotikums

Mundschleimhautveränderungen in der Schwangerschaft

Neben den allgemeinen Behandlungsbesonderheiten sollten Sie auch auf schwangerschaftsbedingte Mundschleimhautveränderungen achten:

  • Schwangerschaftsgingivitis (Gingivitis gravidarum): Durch den Östrogenanstieg kommt es häufig zu einer verstärkten Entzündungsneigung des Zahnfleischs. Regelmäßige professionelle Zahnreinigungen und eine intensive Mundhygieneinstruktion sind hier besonders wichtig.
  • Epulis gravidarum: Dieses gutartige Granulom tritt bei etwa fünf Prozent der Schwangeren auf, meist im Oberkiefer-Frontbereich. Es bildet sich meist nach der Geburt spontan zurück. Eine chirurgische Entfernung ist nur bei starken Beschwerden oder Blutungen notwendig.

Beide Veränderungen können für Patientinnen beunruhigend sein. Erklären Sie ihnen die hormonellen Ursachen und betonen Sie, dass es sich um vorübergehende, gutartige Phänomene handelt.

Besondere Behandlungssituationen

Notfallbehandlung und Schmerztherapie

Bei akuten Schmerzen oder Infektionen sollten Sie nicht zögern zu behandeln. Ein unbehandelter dentogener Abszess ist für Mutter und Kind gefährlicher als eine gut geplante Behandlung.

Präeklampsie

⚠️ WICHTIG: Bei Blutdruckwerten > 140/90 mmHg sollten elektive Behandlungen verschoben werden. Es besteht die Gefahr einer hypertensiven Situation (= Präeklampsie). In solchen Fällen ist eine Rücksprache mit dem behandelnden Gynäkologen sinnvoll.

Fazit: So behandeln Sie schwangere Patientinnen sicher und selbstbewusst

Schwangere Patientinnen gehören zum Praxisalltag. Mit dem richtigen Wissen können Sie sie sicher und selbstbewusst behandeln. Die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

  • Optimaler Behandlungszeitpunkt ist das 2. Trimenon
  • Röntgen bei medizinischer Notwendigkeit möglich
  • Bewährte Medikamente gezielt einsetzen
  • Auf korrekte Lagerung achten
  • Bei Blutdruck >140/90 mmHg Vorsicht geboten
  • Regelmäßige Prophylaxe besonders wichtig

Mit diesen Grundlagen und einem aufmerksamen Blick für die besonderen Bedürfnisse schwangerer Patientinnen steht einer erfolgreichen Behandlung nichts im Wege.

Dr. Tilmann Seifert

Gründer von toothletter.de & Fachzahnarzt für Oralchirurgie

Tilmann gibt zweiwöchentlich den Toothletter heraus: Das 5-Minuten-Wissensupdate aus der Zahnwelt.

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